Geduld – eine der größten Herausforderungen
Julia Unterberger
Geduld ist nicht nur die Fähigkeit zu warten – es ist, wie wir uns verhalten, während wir warten. Diese Tugend, die im 21. Jahrhundert verloren ging, kann unser Leben entschleunigen und glücklicher machen.
In Zeiten von Corona dürfen wir Geduld neu erlernen. Warten vor dem Supermarkt, wochenlang in den eigenen vier Wänden bleiben, nachsichtig sein mit unserem Partner und Kindern. Auch das neue Home-working, Home-schooling und Home-cooking bedarf mehr unserer Zeit und Ausdauer. Selbst die Achtsamkeit mit uns selbst dürfen wir bewusst schulen.
„Zum Zeichnen fehlt mir die Geduld“ sagt mir meine Nachbarin, die ich beim Müll austragen treffe. In dem Moment wird mir bewusst, dass ich selbst geduldig sein, erst neu erlernt hatte – als ich wieder zu malen begann. Kreatives Werken erfordert Zeit. Zeit, die wir uns oft jedoch nicht eingestehen. Wir setzen die falschen Prioritäten und verschieben diese wertvolle Auszeit vom Alltag zu oft, oder ersetzen sie mit Hausarbeit, Fernsehen und vor Allem den Neuigkeiten der sozialen Netzwerke.
„Anstatt den kreativen Schaffensprozess dann zu genießen, treibt uns die ungeduldige Erwartungshaltung des perfekten Gesamtkunstwerkes, dann wieder ins Nicht-tun zurück.“
Ich erinnere mich an die Kindheit, als ich mit engelsgleicher Ruhe malte und kreativ arbeitete, aus reiner Freude am Tun. Zeit spielte damals keine Rolle. Selbstbeurteilungen und Angst vor dem Versagen war mir fremd, denn kreatives Werken bedeutete einfach den Moment zu genießen. Heute könnte dies noch genauso der Fall sein.
Um wieder in dieses zeitlose Bewusstsein des Momentes von damals zu kommen, übe ich nun seit Wochen tiefes Atmen. Denn die Frequenz meiner Atemzüge ist der größte Einflussfaktor meiner Gelassenheit.
Mit dem kreativen Werken lernte ich außerdem eine andere Art der Geduld kennen, als mit dem unzufriedenen Kind, Partner oder den ungeduldigen Wartenden der Supermarktschlange. Denn die Geduld, die man beim Malen benötigt, ist eine Form der inneren Stille – ein nach Innen Lauschen. So als würde man einer leisen Stimme zuhören, die sagt: „Mach den Strich hier noch ein bisschen länger, dort etwas kürzer und sieh genauer hin – atme ruhiger. Lasse deinen Atem so langsam fließen, dass auch deine Hand ganz ruhig wird.“
Nach kurzer Zeit gelang es mir, diese in der Kreativität neu erworbene Fertigkeit auch in anderen Lebensbereichen anzuwenden. Sie glich einer Mischung aus Intuition und sich-mehr-Zeit-nehmen.
Wo darfst du diese wichtige Tugend wieder erlernen? In welchen Lebensbereichen würde es dich weiter bringen und vor allem glücklicher machen, wenn du geduldiger wärst?
Nimm dir einen Moment der Stille um zu reflektieren, wie du Momente des Wartens zukünftig anders gestalten kannst?
Mögest auch du deinen Zugang zur inneren Stille, zum sich-wieder-Zeit-nehmen für dich selbst und andere (wieder) finden.
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